19. September 2012 von Johnny Favourite
Was macht man, wenn man nach vier langen Jahren endlich sein Journalismus-Studium abgeschlossen hat? Na klar, man bewirbt sich – als Financial Coach bei einer unfassbar großartigen Firma, deren Computersystem „nie Fehler macht“. Und deren Berater schon gar nicht. Kohlen machen ohne Ende, Anzug anziehen und reich werden. Eine Elegie auf einen verschwendeten, aber höchst amüsanten Nachmittag.
Ortstermin in einer deutschen Großstadt, Sonntag mittag 11:30, die Sonne lacht, die Unsicherheit wächst. Bin ich hier wirklich richtig, unter diesen geleckten Anzugträgern, fernab meines eigentlichen Ressorts? 19 Leute buhlen heute um die „Chance ihres Lebens“, der Moderator der ganzen Show startet denn auch gleich laut wie ein Marktschreier in die Begrüßung, um auch noch dem Letzten jeden eventuell verbliebenen Zweifel zu nehmen. Stinkend faul sei er, und genau aus diesem Grund habe er eine Firma für Financial Coaching gegründet. Ratloses, betretenes Schweigen, so richtig ist das Eis damit noch nicht gebrochen.
Nun muss also die obligatorische Vorstellungsrunde her, in der sich eine erstaunlich hohe Dichte an Ricos und anderen ostdeutschen Mitbürgern heraus kristallisiert. Sie alle seien ebenfalls sowas von stinkend faul und deshalb hier, Bewerbungsgespräch 2.0, so gewinnt man heute die CEOs für sich, einfach alles unreflektiert nachplappern. Sushiköche sind gekommen, Gas-Wasser-Installateure, Elektriker, Stahlbauer, BWL-Studenten, ein Abziehbild der Faulheit allesamt, so versuchen sie den Chef zu beeindrucken. Ein paar probieren es auch noch mit der Lebensgeschichte à la gestrauchelter Boxer, auf jeden Fall haben alle „bisher viel Scheiße gefressen“ und wollen jetzt nach ihren Sternen greifen und mindestens 5-stellig verdienen. „Mit anderen Ansprüchen brauchen sie hier auch erst gar nicht anzufangen“, so der Chef.
Das klingt doch erstmal recht vernünftig, und so geht man motiviert in die erste von vielen Pausen, die irgendwann länger werden als der eigentliche Vortrag. Man stürzt sich auf Mozarella-Caprese-Bagels und Bienenstich mit Vanillepudding, für die richtige Optik ist in dem Dachgeschossbüro jedenfalls gesorgt. Stimmung super, alle Mitarbeiter fein rausgeputzt und den Erfolg förmlich ausschwitzend, so wäre man doch auch gerne, oder?
Richtig, und jetzt sollen wir lernen wie das geht. Aber bevor es damit losgeht, ist erstmal Grundkurs Volkswirtschaft Semester I angesagt: Die Bevölkerungszahl schrumpft, weil es immer weniger Geburten gibt und immer mehr Sterbefälle, gleichzeitig leben die Menschen aber „leider“ länger. „Denen kann man ja jetzt auch nicht einfach sagen, geht mal bitte sterben“, so der Chef vollkommen überzeugend und kompetent. Anerkennendes Nicken und höfliches Gelächter, nein, das wäre dann wohl wirklich ein bisschen too much.
Also werden noch ein paar lustige Comicgrafiken und aus der BILD abgekupferte Tabellen mit Horrorszenarien von einem Renteneintrittsalter von 75 im Jahre 2030 bemüht, bevor wir dann hoffentlich erfahren, wie man denn nun wirklich richtig Kohle scheffelt. Und nachdem der Chef mal eben flott die kommende Bundestagswahl in dieses Jahr verlegt hat und über sämtliche misstrauischen Fragen elegant hinweggeholpert ist, werden wir endlich eingeführt in die heiligen Hallen des Erfolgs: auf jeden Fall viele, viele Plattitüden verwenden, schlagende Argumente wie „Geld verdienen mit zufriedenen Kunden“ „Ehrliche Arbeit für eine gute Sache“ oder „Gemeinsam sind wir stark“. Und wer will den Erfolg bei einer angeblichen Unternehmenswachstumsrate von „150-200%“ pro Jahr noch anzweifeln?
Spätestens jetzt steigert sich der zum Teleshoppingverkäufer mutierte Chef endgültig in ein apnoetaucherartiges Dauerfeuer vollmundiger Argumente und wir lernen, dass sich die Firmensoftware „niemals irrt“ und auch Fehler in dieser Firma „einfach nicht passieren“. Wahnsinn, und das bei „garantierten Renditen von bis zu 18% jährlich“. Wie man diese astro-tastischen Margen zu erzielen gedenkt? „Das erzähl ich ihnen alles später!“ Erste Erklärungsversuche anhand willkürlich zusammengewürfelter Zahlenhaufen, bei denen selbst die versierte, aber letztendlich doch gefallene Ex-Chefsekretärin aus Dresden in breitestem Sächsisch bekennt, „jetzt doch etwas Bauchschmerzen zu haben“. Knappe wie überzeugende Antwort: „Das müssen Sie mir jetzt einfach glauben!“
Wer würde das auch nicht, werden doch immerhin für diese wahnsinnig überzeugende Präsentation sogar kurzerhand neue Wörter wie „performant“ erfunden und absolute Totschlagargumente verwendet, nämlich: „Was der Kunde will, ist uns völlig egal“ und „Keiner meiner Kunden kann seine Ziele verwirklichen!“ Die Finanzberatung, die die Firma anbietet, gebe es überraschenderweise noch dazu völlig gratis, man solle aber das Konzept doch dann bitteschön auch an möglichst viele Andere weiter empfehlen.
Zuguterletzt wird uns noch das schneeballartige Ausbildungssystem erklärt, bei dem man innerhalb der ersten zwei Jahre wohl weniger verdienen würde als ein arbeitsloser Student. Aber immerhin lockten dann in der Zukunft vollkommen realistische Einkünfte von monatlich 5000 bis 18 000 Euro, und das lässt dann wohl doch noch einmal viele Herzen höher schlagen. Bei der anschliessenden Abschlussrunde für das Unterschreiben der Praktikumsverträge (unbezahlt versteht sich) sind jedenfalls außer mir noch fast Alle anwesend.
Nachdem ich mich dazu entschlossen habe, mein Glück fürderhin doch weiter im Journalismus zu versuchen, verabschiede ich mich erleichtert und mit dem Vorschlag, gegen ein geringes Entgelt immerhin die vorgezeigte Powerpoint-Präsentation von den zahlreichen Orthographie-Fehlern zu befreien.
Danach bleibt mir nur noch, mich in Gedanken mit einem von Homer Simpson gern zitierten Bonmot zu empfehlen: „Macht’s gut, ihr Trottel…“
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